Lebensphasenorientierte Personalpolitik

Berufstätige Frau mit Kind im BüroUnsere Gesellschaft ist auf vielen verschiedenen Ebenen einem grundlegenden, historisch bislang einmaligen Wandel unterworfen. Aufgrund der bereits weit fortgeschrittenen Globalisierung – die zukünftig eher noch zunehmen wird – hat sich der Konkurrenzdruck der Unternehmen untereinander drastisch erhöht. Potenzielle Kunden sind nicht mehr darauf angewiesen, bei lokalen Anbietern einzukaufen, sondern können sich weltweit das für sie beste Angebot heraussuchen.

Diese Tatsache hat zur Folge, dass Arbeit einem immer höheren Kosten- und Innovationsdruck unterliegt – das bedeutet, immer mehr Arbeit muss in immer kürzerer Zeit erledigt werden, wobei Wissen zur neuen, vorherrschenden Ressource wird. Die ehemaligen industriellen Gesellschaften wandeln sich zu Wissensgesellschaften, in denen tiefgreifendes Spezialwissen und hohe Bildungsgrade eine immer wichtigere Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens erhalten.

Gleichzeitig jedoch sinkt die tatsächliche Verfügbarkeit dieser gefragten Wissensarbeiter, da der viel beschworene demografische Wandel die Gesellschaft zugleich altern, aber auch schrumpfen lässt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass einerseits immer weniger gut ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung stehen, andererseits aber Menschen immer länger arbeiten müssen – die Einführung des Mindestalters von 67 Jahren für den Eintritt in die gesetzliche Rente war nicht nur den Problemen der Rentenkassen geschuldet, sondern vor allem des in naher Zukunft bevorstehenden Fachkräftemangels in wirtschaftlich relevanten Bereichen. Ergo stehen Unternehmen unter einem zweifachen Druck – sie müssen den globalen Märkten standhalten und zugleich um die immer weniger werdenden Fachkräfte konkurrieren. Die Folge ist, dass sich der Arbeitsmarkt von einem Arbeitgeber- zu einem Arbeitnehmer-Arbeitsmarkt wandelt.

Nun bewerben sich nicht mehr gefragte Fachkräfte um Arbeitsplätze, sondern die Unternehmen sind angehalten, ihre Arbeitsplätze möglichst attraktiv zu gestalten. In Zukunft werden nur diejenigen Unternehmen erfolgreich sein, die zugleich attraktive Arbeitsbedingungen bieten.

Lebensphasenorientierte Personalpolitik – was ist das überhaupt?

Doch auch der Punkt „attraktive Arbeitsbedingungen“ ist nicht eindeutig zu beantworten. Vor 20 Jahren noch bedeutete „attraktiv“ in diesem Zusammenhang ein hohes Gehalt, weitreichende Karrierechancen sowie mögliche Auslandsaufenthalte. Heutzutage reicht das nicht mehr, denn die nachfolgenden Generationen wünschen sich statt eines üppigen Salärs eher eine ausgewogene Work-Life-Balance. Das bedeutet, dass sowohl Vater wie auch Mutter sich gleichermaßen um die Kinder kümmern und für diese da sein wollen, dass Hobbys und ehrenamtlichen Tätigkeiten ebenso viel Bedeutung beigemessen wird wie dem Job und weiterhin, dass das Individuum mit all seinen Fähigkeiten und Interessen wahr genommen und akzeptiert werden muss. Die Folge ist, dass sich die Personalpolitik innerhalb der letzten 20 Jahre drastisch geändert hat – und noch längst nicht am Ende ihrer Möglichkeiten angekommen ist. Früher konzentrierten sich die betrieblichen Bestrebungen vor allem auf die Lebensjahre zwischen 20 und 40, in denen sowohl die Familiengründung wie auch die relevanten Karriereschritte vollzogen wurden.

Diese „Rush Hour“ des Lebens ist heute nicht mehr wie im damaligen Umfang möglich und sollte entzerrt werden. Statt der fraglichen 20 Lebensjahre wird nun die gesamte Lebensarbeitszeit des Arbeitnehmers unter dem Aspekt betrachtet, wie diese Fachkraft möglichst lange an das Unternehmen gebunden werden kann. In diesem Zusammenhang bedeutet das Schlagwort der „lebensphasenorientierten Personalpolitik“, dass die Berufsphasen in Einklang mit den einzelnen Lebensphasen gebracht werden sollen – und zwar bis zum Eintritt in den Ruhestand und womöglich sogar darüber hinaus. Dabei orientieren sich die Unternehmen nicht nur an den eigenen Erfordernissen, sondern auch an den individuellen Ansprüchen der Mitarbeiter. Dabei sollte eine Harmonie zwischen den wirtschaftlichen Erfordernissen und den Bedürfnissen der Angestellten hergestellt werden – wie dies gelingen kann, zeigt das Modell der lebensphasenorientierten Personalpolitik.

Gesellschaftliche Trends und ihre Konsequenzen für die Personalpolitik

Seit einigen Jahren ist bereits eine tiefgreifende, völlig neuartige gesellschaftliche Umwandlung auf verschiedenen Ebenen im Gange. Diese Ebenen sind, oberflächlich betrachtet, zunächst einmal losgelöst voneinander zu betrachten, beeinflussen sich allerdings gegenseitig sehr stark. In der Folge müssen bislang erfolgreiche personalpolitische Instrumente überdacht und neu konstruiert werden, sofern das einzelne Unternehmen sowie die Volkswirtschaft als ganzes überlebensfähig bleiben wollen. Die beschriebene Entwicklung hat gerade erst begonnen, die ersten Ausläufer sind spürbar. Die tatsächlichen Folgen werden uns jedoch erst in einigen Jahren in vollem Umfang treffen. Um nicht unvorbereitet hineinzustolpern, sollten Personalverantwortliche, die Unternehmen an sich sowie die Gesellschaft als großer Überbau bereits jetzt geeignete Konzepte entwickeln und anwenden – in 20 Jahren wird es diesbezüglich bereits zu spät sein.

1. Umwandlung der Arbeitswelt

Eines der großen Themen unserer Zeit ist die drastische Umwandlung der Arbeitswelt von einer produktionsorientierten Industrie- hin zu einer wissensbasierten Gesellschaft. Gering qualifizierte Tätigkeiten in der Produktion und Fertigung fallen der zunehmenden Automatisierung sowie der Auslagerung ins billigere Ausland zum Opfer. Stattdessen nimmt jedoch die Bedeutung von Innovation und Wissenschaft zu, d. h. Wissen und Bildung werden zu einem wertvollen Gut, nicht mehr die schiere Arbeitskraft. Zugleich verschwimmen dank der Digitalisierung die räumlichen wie zeitlichen Grenzen von Arbeit und Freizeit, womit auch eine erhebliche Arbeitsverdichtung einhergeht.

2. Demografischer Wandel

In Zukunft werden immer mehr gut ausgebildete, spezialisierte Fachkräfte benötigt. Dieser Bedarf kann jedoch nicht allein von Nachwuchskräften bzw. Migranten gedeckt werden, denn zugleich altert und schrumpft die Gesellschaft. Bei einer durchschnittlichen Geburtenrate von etwa 1,4 Kindern pro Frau ist jede nachfolgende Generation um etwa ein Drittel kleiner als die vorhergehende – mit dem Ergebnis, dass dringend benötigte Fachkräfte fehlen. Eine Lösung kann darin bestehen, die Lebensarbeitszeit der Angestellten deutlich auszuweiten, erste gesetzliche Ansätze wurden mit der Erhöhung des Renteneintrittsalters bereits geschaffen. Dies bedeutet jedoch auch, dass die Unternehmen Angebote schaffen müssen, um ihre Mitarbeiter möglichst lange bei guter Gesundheit und Motivation zu halten.

3. Wachsende wirtschaftliche Bedeutung der Frauen

Bereits heute ist die Frauenerwerbsquote mit einem Wert von etwa 69 Prozent vergleichsweise hoch, wobei allerdings ein großer Teil der berufstätigen Frauen lediglich in Teilzeit beschäftigt ist. Dies ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass immer noch die Frauen die Hauptlast für die Familienarbeit – Pflege von Angehörigen, Kindererziehung – tragen. Zugleich erwerben mehr Frauen als Männer hohe Schul- und Bildungsabschlüsse. Bereits über die Hälfte der Studienabsolventen sind Frauen, auch fast 40 Prozent der Promovenden sind weiblich. Hier liegen also Kompetenzen brach, die dringend volkswirtschaftlich sinnvoll genutzt werden müssen. Allerdings ist es wenig sinnvoll, eine berufstätige Mutter zur Vollzeitarbeit mit 40 und mehr Stunden zwingen zu wollen – hier müssen andere Instrumente eine Entschleunigung herbeiführen, um langfristig gesehen einen Vorteil daraus zu ziehen. Eine zeitweise Teilzeittätigkeit aufgrund von Kindererziehungszeiten darf nicht mehr ins berufliche Aus führen – im Gegenteil, die Erkenntnis, dass Brüche im Lebenslauf die Normalität darstellen und die Familie einen ebenso hohen Stellenwert inne hat wie die Berufstätigkeit, sollte für Personaler eine Selbstverständlichkeit sein.

4. Wertewandel und Individualisierung

Überhaupt die Familie: Die Bedeutung von Familie und anderen Beziehungen wie etwa Freundschaften hat stark zugenommen. Dies ist kaum verwunderlich, wird doch die Arbeitswelt durch Zeitarbeitsverträge und Co. als instabil und unsicher wahrgenommen – und in instabilen Zeiten setzen Menschen verstärkt auf traditionelle, konservative Bande. Ergo gilt die Familie als Hort der Sicherheit gegenüber der unsicheren Arbeitswelt. In diesem Punkt hat also ebenso eine starke Werteverschiebung stattgefunden, denn bis vor wenigen Jahren stand noch der berufliche Erfolg an erster Stelle. Weiterhin kommt es, auch bedingt durch die gute Ausbildung der Frauen, zu einem Wandel des Familienbilds. Das heutige Leitbild ist nicht mehr der Alleinverdiener mit Frau und Kind(ern) zu Hause, sondern das berufstätige Elternpaar, dass sich gleichberechtigt die Familien- und Hausarbeit teilt. Mit dem steigenden Durchschnittsalter der Gesellschaft wird es zudem immer mehr alte und pflegebedürftige Menschen geben, die aufgrund der hohen Kosten sowie des Fehlens von qualifizierten Fachkräften von ihren berufstätigen Angehörigen betreut werden. Auch diesen Punkt gilt es in einer lebensphasenorientierten Personalpolitik mit einzubeziehen.

Wie kann eine lebensphasenorientierte Personalpolitik konkret umgesetzt werden?

Das Zauberwort der lebensphasenorientierten Personalpolitik heißt „Flexibilität“, womit allerdings nicht die einseitige Flexibilität der Arbeitnehmer im Hinblick auf den Arbeitgeber zu verstehen ist. Die lebensphasenorientierte Personalpolitik setzt vor allem auf flexible und individualisierte Arbeitszeitmodelle, die dem Arbeitnehmer die Wahrnehmung außerbetrieblicher Pflichten und Interessen ermöglicht, ohne dass dieser in Konflikt mit den Interessen des Unternehmens gerät. Zu diesen Instrumenten zählen etwa

In diesem Punkt ist es wichtig festzustellen, dass Arbeitszeiten nicht mehr als reine Anwesenheitszeiten durch das Unternehmen festgelegt werden, sondern in Absprache mit beiden Parteien. Dabei sind einmal geschaffene Festlegungen nicht starr zu sehen, sondern jederzeit – der individuellen Lebensphase des Mitarbeiters entsprechend – veränderbar. Auf diese Weise geraten Frauen nicht mehr in die „Teilzeitfalle“, sondern können – ihrer Qualifikation und Bildung entsprechend – nach der Erziehungszeit vollumfänglich in ihren Beruf zurückkehren und müssen keine gering und unterhalb ihrer Ausbildung qualifizierten Teilzeitjobs mehr ausüben.

Allerdings gilt dieses Konzept nicht nur für berufstätige Eltern von kleinen Kindern, sondern auch für ältere Arbeitnehmer oder außerbetrieblich (etwa in einem Ehrenamt) engagierte Mitarbeiter. Ziel dieser Personalpolitik ist es, die Arbeitskraft hoch qualifizierter Mitarbeiter möglichst lange zu erhalten, beispielsweise durch Gesundheitsmaßnahmen, Weiter- und Ausbildungen auch in höheren Lebensaltern sowie motivationsfördernde Maßnahmen. Die lebensphasenorientierte Personalpolitik findet einvernehmlich Lösungen, die den Interessen beider Parteien entgegenkommt und so sowohl zufriedene Mitarbeiter wie auch erfolgreiche Unternehmen hervorbringt. Dabei handelt es sich um ein ganzheitliches, integratives Konzept, das allerdings sensible und gesprächsbereite Führungskräfte erfordert.

Welche Vorteile hat diese Vorgehensweise für den Arbeitgeber?

Die lebensphasenorientierte Personalpolitik mag gerade in ihrer Einführungsphase – die durchaus einige Jahre in Anspruch nehmen kann – mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein. Sie verlangt ein hohes Maß an Kommunikation und Kompromissbereitschaft, bietet jedoch den Unternehmen konkrete, bezifferbare Vorteile:

  1. Hohe Attraktivität des Unternehmens für hoch qualifizierte, gefragte Fachkräfte
  2. Erhöhung der Mitarbeitermotivation und –produktivität
  3. Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und Verringerung der Fluktuation
  4. Reduktion von Ausfallzeiten (z. B. durch Krankheit)
  5. Erhöhung der Mitarbeiterloyalität gegenüber dem Unternehmen
  6. Stärkere Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen
  7. Besseres Image und dadurch Steigerung der Kundenbindung

Zusammenfassung

Aufgrund tiefgreifender Wandlungen innerhalb von Gesellschaft und Arbeitswelt ist eine grundlegende Neukonzeptionierung der herkömmlichen Personalpolitik notwendig geworden. Damit Unternehmen und damit auch Volkswirtschaften in Zukunft auf einem globalisierten Markt wettbewerbsfähig bleiben, fördert die lebensphasenorientierte Personalpolitik die bessere Vereinbarkeit von Privatleben und Berufstätigkeit und erhöht somit sowohl die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter sowie auch die Loyalität der Mitarbeiter gegenüber dem Unternehmen. Im Wettstreit um die besten Fachkräfte müssen Unternehmen in Zukunft auf deren persönliche und individuelle Bedürfnisse hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen eingehen. Nur so können sie sich als attraktive Arbeitgeber darstellen und auch in Zukunft gute Mitarbeiter gewinnen.

Foto: © Frank Gärtner – Fotolia.com

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